Corinna Marschall, die Geschäftsleiterin von MEDIA Desk Suisse spricht über die Schweiz im Verhältnis zu Europa.
Teresa Vena
Welche Funktion haben die Ersatzmassnahmen von MEDIA Desk Suisse seit dem Ausscheiden der Schweiz aus dem europäischen MEDIA-Programm vor zehn Jahren übernommen?
Unsere Aufgabe war es, die wichtigsten der weggefallenen Förderlinien zu ersetzen, also ein vielfältiges Angebot europäischer Filme in unseren Kinos zu sichern und die Entwicklung neuer Filme zu stärken. Wir starteten mit sechs Förderlinien. Um einen Wiedereinstieg ins europäische Programm zu vereinfachen, ist es wesentlich, dass wir möglichst nahe an den europäischen Richtlinien sind.
Haben Sie auch eigene Massnahmen eingeführt?
Wir haben für audiovisuelle Projekte, bei denen die Schweiz minoritär beteiligter Partner ist, eine Förderung der Ko-Entwicklung umgesetzt. Diese Massnahme ist nicht identisch mit einer Förderlinie von Creative Europe, aber sie nimmt eine Umstrukturierung der Projektentwicklungsförderung auf Europaebene auf und verbindet sie mit spezifischen Bedürfnissen des Schweizer Filmsektors und des Bundesamts für Kultur (BAK). Indem Schweizer Produktionsfirmen darin unterstützt werden, sich schon im Entwicklungsprozess eines Projekts zu engagieren, das im Ausland initiiert wurde, können Schweizer Elemente früher darin verankert werden. Das ermöglicht es, grösseren künstlerischen Einfluss und wirtschaftliche Effekte zu erreichen, indem beispielsweise Dreharbeiten in der Schweiz stattfinden oder Schweizer Talente beteiligt werden.
Konnten Sie darüber hinaus gezielter auf die Bedürfnisse der Schweizer Filmindustrie eingehen, als es mit dem europäischen Modell möglich wäre?
Als wir MEDIA-Mitglied waren, schwankte die Erfolgsquote in der Projektentwicklung stark. Im Jahr wurden zwischen drei und dreizehn Projekten aus der Schweiz über das EU-Programm gefördert. Mit den Ersatzmassnahmen haben wir ein festgelegtes Jahresbudget von rund 1,2 Millionen Franken und können die Entwicklung von 22 bis 23 Projekten unterstützen. Die Förderung eines Projektes in der Entwicklung bedeutet ein finanziell kleineres Risiko als in der Herstellungsphase. Wir geben damit mehr Projekten die Chance, eine längere Test- und Entwicklungsphase zu absolvieren, bevor die teure Herstellung beginnt.
Worin bestanden die grössten Herausforderungen?
Während der Mitgliedschaft im EU-Programm waren wir als Desk für Schweizer Antragssteller «nur» beratend tätig. Für die Ersatzmassnahmen mussten wir die europäischen Regeln mit unseren nationalen Reglementen abstimmen und eine Administration aufbauen. Diese lief davor komplett über Brüssel.
Worin liegen für die Schweiz bei der Nichtteilnahme an den EU-Programmen die grössten Nachteile ?
Es ist kaum möglich, die automatische Teilnahme an europäischen Netzwerken zu kompensieren, die beispielsweise den Verkauf von Schweizer Filmen im Ausland erleichtern würden. Man kann auch nicht endlos separat von der fast kompletten europäischen Konkurrenz arbeiten, ohne langfristig den Anschluss zu verlieren. Die Ersatzmassnahmen sind ein geschützter Bereich, der eine Weile lang auch fruchtbar sein kann. Um sich weiterzuentwickeln, muss man sich aber mit der starken Konkurrenz messen. Auch die Beteiligung an grösseren Projekten hilft dabei. Der Aufbau von persönlichen Netzwerken findet zwar bei der jüngeren Generation zum Beispiel über Weiterbildungen trotzdem statt, doch es besteht die Gefahr, dass Schweizer Produktionsfirmen langfristig nicht mehr als natürliche Partner für grosse Projekte gesehen werden. Zudem hat die Schweiz weiterhin keinen Zugang zu neuen Fördermassnahmen, die die EU lanciert, um auf Marktveränderungen zu reagieren. So hat Creative Europe zum Beispiel die Herstellung von Serien in Koproduktion gestärkt und unterstützt Computerspiele und Innovationsprojekte.
Wieso braucht die Schweiz Koproduktionen?
Die Schweiz ist ein kleines Land. Selbst wenn man selbst über viel Geld verfügt, braucht man stets Partner, um höhere Filmbudgets zu erreichen. Neben den rein finanziellen Gründen bringen Koproduktionen Inspiration und künstlerischen Austausch. Zudem erlauben sie die Einbindung von Schweizer Fachkräften und Schweizer Talenten in internationale Projekte. Das wiederum fördert die eigenen Kompetenzen. Koproduktionen haben es zudem auf dem Markt etwas leichter, weil sie mindestens in einem zweiten Koproduktionsland – oft einem grösseren Markt als der Schweiz – ausgewertet werden und von einem grösseren Publikum gesehen werden können.
Können Sie Projekte nennen, die Sie gefördert haben und die besonders erfolgreich waren?
Ein Viertel der Projekte, die von uns gefördert wurden, feierte ihre Premiere auf einem wichtigen internationalen Festival. Die Hälfte davon waren Koproduktionen. Wir haben beispielsweise «Die göttliche Ordnung» von Petra Volpe in der Entwicklung gefördert, ein grosser Publikumserfolg. Oder aber die SRF-Serie «Davos 1917», eine Koproduktion mit Deutschland mit dem enormen Budget von 18 Millionen Euro; und «Ingeborg Bachmann» von Margarethe von Trotta, eine Koproduktion zwischen vier Ländern. Wir bieten einen Baustein, um ein Projekt gut auf den Weg zu bringen, danach braucht es noch weitere Partner, um die Filme fertigzustellen.
Image: Sabina Bobst