Interview mit Matthijs Wouter Knol , dem Geschäftsführer der European Film Academy.
Teresa Vena
Wie wollen Sie die European Film Academy langfristig positionieren?
Ich habe 2021 die Aufgabe als Geschäftsführer mit der Absicht übernommen, aus der European Film Academy eine Institution zu machen, die sich nicht nur darauf fokussiert, europäische Filme in einem kleinen, elitären Kreis zu feiern, und sich vor allem um die eigenen Mitglieder kümmert. Das bleibt natürlich weiterhin sehr wichtig und das hat die Akademie schon sehr lange ausgesprochen gut gemacht. Doch weil sich die Welt insgesamt, und damit auch die Welt des europäischen Kinos, in den letzten Jahrzehnten stark verändert hat, darf die Akademie nicht aus der Zeit fallen. Nicht zuletzt mit der Digitalisierung haben sich in den letzten Jahren die Gewohnheiten und Erwartungen des Publikums massiv verändert. Um den Anschluss an die Realität nicht zu verpassen, um konkret zu bleiben, müssen die Strukturen der Akademie effektiver werden. Wir müssen uns im Hinblick auf Fragen, wie die Akademie arbeitet, wie sie agiert und kommuniziert und insbesondere worauf sie sich fokussiert, an die Entwicklungen anpassen.
Welche ist die grösste Herausforderung der Akademie?
Die Akademie wandelt sich gerade zu einer Institution mit einer viel breiteren Ausrichtung. Wir wollen das europäische Kino wieder relevanter und sichtbarer machen. Mit einer Präsidentin wie Juliette Binoche sollte uns das noch einmal besser gelingen. Das europäische Kino hat nichts davon, wenn es von ein paar wenigen als Hobby am Rande betrieben wird. Das europäische Kino steht für viel mehr. Wer es kennt, mag es in aller Regel sehr. Aber das Problem ist, dass das europäische Kino bei der Mehrheit der Menschen überhaupt nicht ankommt und deswegen auf eine diffuse Art auch unbeliebt ist.
Wie würden Sie den Schweizer Film im europäischen Kontext einordnen?
Das schweizerische Kino ist ein Teil des europäischen Kinos. Es gibt viele Kreative, wie auch in anderen Ländern, die europaweit bekannt sind. In den letzten Jahren habe ich mich vermehrt mit dem Schweizer Filmschaffen beschäftigt, und viele sehr spannende Werke gesehen, die auch international für Aufsehen gesorgt haben und gelobt wurden. In kleineren Ländern tendiert man schneller dazu, unzufrieden zu sein, wenn es um die Reichweite ihrer Filme geht. Doch in der Schweiz hängt die Vermarktung auch mit der Sprache und mit den verfügbaren Fördermitteln zusammen. Dennoch verfügt die Schweiz über eine gute filmische Infrastruktur. Damit meine ich beispielsweise das Festival in Locarno, das weltweit einen exzellenten Ruf geniesst, aber auch die Festivals in Genf oder Zürich. Gerade letzteres hat sich in kurzer Zeit ordentlich entwickelt. Für ein kleines Land wie die Schweiz ist das mehr als beachtlich. In der Schweiz ist also sehr viel vorhanden. Wie vielfältig das Land ist, haben wir auch während der Vorbereitungen für die Verleihung der European Film Awards in Luzern gesehen. Als European Film Academy setzen wir uns dafür ein, die Vielfalt Europas, mit unterschiedlichen Stimmen, Kulturen, Sprachen, Geschichten und Kontexten, sichtbar zu machen. Und die schweizerischen Stimmen mit ihrer Sprachvielfalt und ihren sonstigen Eigenheiten, gehören dazu. Der Schweizer Film hat seinen festen Platz innerhalb des europäischen Kinos. Einer der Gründe, warum wir die Preisverleihung in Luzern ausrichten, ist, die Schweiz und auch ihr Filmschaffen noch einmal stärker ins Bewusstsein ganz Europas zu bringen.
Wie entscheiden Sie über den Austragungsort der Preisverleihung?
Jedes zweite Jahr richten wir die European Film Awards in Berlin und dazwischen in einer anderen europäischen Stadt aus. Die Schweiz hat vor ungefähr zehn Jahren Interesse angemeldet. Jetzt ist es soweit, dass das europäische Kino in die Schweiz kommt. Die Vorbereitungen dauerten etwas länger als bei anderen Ländern, auch weil eine der wichtigen Fragen war, wo genau in der Schweiz die Verleihung stattfinden sollte. Über die Jahre hat sich aber eine sehr engagierte Trägerschaft herausgebildet. Dazu gehören das Bundesamt für Kultur, Swiss Films und vor allem das Schweizer Fernsehen SRG. Der Kanton und die Stadt Luzern spielen ebenfalls eine wichtige Rolle. Die Zusammenarbeit mit den Schweizer Partnern ist dank dieser professionellen Aufbauarbeit sehr angenehm und fruchtbar. Von Anfang an hatten wir den Eindruck einer breiten Akzeptanz in der Filmszene.
Welche Aspekte sind Ihnen bei der Durchführung der European Film Awards besonders wichtig?
Besonders wichtig war uns das umfangreiche Rahmenprogramm unserer Partner in der Schweiz rund um die Verleihung. Wir waren uns einig, dass das europäische und Schweizer Kino mehr verdient als nur ein Wochenende, an dem wir die Preise vergeben. Die Veranstaltungen des Rahmenprogramms, das bereits seit dem Frühling die vielfältigen Beziehungen zwischen der Schweiz und dem übrigen Europa illustriert, richten sich sowohl an ein breites Publikum als auch an die Schweizer Filmbranche. Die Preisverleihung ist im Übrigen in den europaweiten «Monat des europäischen Films» eingebettet. In über 40 Ländern finden in fast 100 Städten und Dörfern Kinovorführungen von ausgewählten europäischen Filmen statt. So werden beispielsweise für die European Film Awards nominierte europäische Filme präsentiert, um für die Menschen in Europa die Wartezeit bis zur Preisverleihung etwas zu verkürzen. Auf der Internetplattform unseres Partners MUBI wird es ebenfalls ein Programm geben, das einen Monat lang das europäische Kino feiert. Wie bereits in Reykjavik 2022 war uns zudem das Thema Nachhaltigkeit ein Bedürfnis. Wir wollen zusammenkommen und uns nicht nur Online treffen, aber es soll auch ein nachhaltiges Fest sein. Es gehört nicht zuletzt dazu, dass wir eine Onlineausstrahlung ermöglichen, aber dafür brauchte es innovative Ansätze vor Ort.
BIOGRAFIE Der polyglotte Matthijs Wouter Knol wurde in der Niederlande geboren. Er studierte dort an der Universität Leiden sowie am Royal Netherlands Institute in Rom zeitgenössische Geschichte. Davor und parallel dazu war er als Journalist tätig. Nach seinem Studium, ab 2001 betätigte er sich als Produzent und war in dieser Funktion an über 30 preisgekrönten Dokumentarfilmen beteiligt, darunter an Werken von Heddy Honigmann, Maria Ramos und Mani Kaul. Nach einem kurzen Einsatz beim IDFA in Amsterdam übernahm er 2008 für sechs Jahre die Programmleitung von Berlinale Talents. Danach wurde er für weitere sechs Jahre Direktor des European Film Market in Berlin. Seit 2021 ist er Geschäftsführer der Europäischen Filmakademie. Er ist verantwortlich für die administrative und konzeptionelle Gestaltung aller Aktivitäten der Akademie und hat Projekte in den Bereichen Filmbildung und Filmerbe sowie den «Monat des europäischen Films» initiiert und entwickelt. Knol führt auch hier sein Engagement für mehr Vielfalt und Inklusion in der Filmbranche weiter.
Bild: European Film Academy, Sebastian Gabsch