Adrien Kuenzy, Teresa Vena
Die Europäische Filmakademie fördert das europäische Filmschaffen und schult das Publikum. Auszüge aus ihrer Geschichte.
«Den Verfall des künstlerischen Geschmacks sowie die Verunreinigung der intellektuellen und spirituellen Werte, die zunehmend die nationale Identität, die Muttersprachen und unser Streben nach der natürlichen Schönheit der Vielfalt bedroht», gelte es um jeden Preis zu verhindern. So lautete ein Teil des Aufrufs, den eine Gruppe Kunstschaffender unter der Leitung von Ingmar Bergman 1988, kurz nach der Gründung des Europäischen Filmpreises, verfasste. Die erste Preisverleihung fand am 26. November 1988 in der damaligen europäischen Kulturhauptstadt Berlin statt. Der schwedische Filmemacher und 40 europäische Filmschaffende riefen 1989 die Europäische Filmakademie ins Leben. Bergman und den Gründungsmitgliedern – darunter Pedro Almodóvar, Claude Chabrol, Federico Fellini, Isabelle Huppert, Krzysztof Kieslowski, Giulietta Masina, Liv Ullmann und Wim Wenders – schwebte zunächst ein Club mit höchstens 99 Mitgliedern vor. «Die Idee wurde bald verworfen, da die Beitrittsgesuche rasch zunahmen», so der derzeitige Vorstandsvorsitzende der Akademie, Mike Downey. Die ursprünglichen Ziele bestanden darin, den eklektischen Charakter des europäischen Kinos zu fördern und seine Bedeutung angesichts der drohenden kulturellen Homogenität zu bewahren. «Als Leiter, Ideologe und einflussreiche Figur der Akademie verlieh Bergman ihr zahlreiche Werte, die wir bis heute vertreten», so Downey weiter. Die anfängliche Unterstützung der Filmschaffenden aller Länder des Europarats (plus Israel und Palästina) sowie die Grundfinanzierung des Senats von Berlin und zahlreicher Geldgeber «erlaubten es der Akademie, eine solide Grundlage zu schaffen für die vielen kulturellen Institutionen Europas, die heute unsere Arbeit unterstützen und finanzieren», erklärt Downey.
Die Familie hat Zuwachs bekommen
1996 übernahm der deutsche Regisseur Wim Wenders die Präsidentschaft der Akademie. In seine 24-jährige Amtszeit fallen die Bemühungen, die Institution für einen grösseren Kreis der Interessierten und Fachleute zu öffnen. Der Club mit exklusivem Charakter wich einer breit gefächerten Gemeinschaft. Produzenten und Produzentinnen schlossen sich den Autoren und Autorinnen und Schauspielenden an, die bisher das Bild dominierten. Neben dem Amt des Präsidenten oder der Präsidentin verfügt die Akademie über einen Vorstand, der durchschnittlich aus 17 bis 20 Personen besteht, sowie eine Geschäftsführung. Durch die vielschichtigere Zusammensetzung der Mitglieder veränderte sich auch die Struktur im Vorstand. Obwohl der Frauenanteil bei den prämierten Filmen erst in den letzten paar Jahren anstieg, seien Frauen innerhalb der Institution schon lange mitprägend, sagt die britische Produzentin Rebecca O’Brien, die ab 2013 zehn Jahre im Vorstand war, wovon die letzten vier Jahre als stellvertretende Vorsitzende. «Die Beteiligung von unterschiedlichen Menschen hat der Akademie erlaubt, verschiedene Standpunkte zu vereinen», so O’Brien weiter, «dies ist wichtig, wenn man sich politischer Motive bewusst werden will». Je grösser die «europäische Familie» sei, desto stärker werde der politische Einfluss der Akademie. So hat die Akademie begonnen, immer öfter Position zu beziehen, wenn sie eine Gefährdung für den freien künstlerischen Ausdruck von Filmschaffenden wahrgenommen hat. Die jährliche Vergabe der europäischen Filmpreise war immer der Schwerpunkt der Akademie, doch der Anspruch an die Resonanz dieser Auszeichnung ist gestiegen. Im Zusammenspiel zwischen Präsidentschaft, Vorstand und Geschäftsleitung sind über die Jahre verschiedene Initiativen entstanden, die die Bedeutung des europäischen Filmschaffens herausstellen und es in der weltweiten Konkurrenz stärken sollen. Die Ansätze sind vielseitig, sie gehen bis zu Massnahmen zur Erhaltung des Filmkulturerbes, beispielsweise mit der Prämierung von bedeutenden Drehorten seit 2015. Dem europäischen Film eine grössere Publikumsreichweite zu verschaffen, steht im Vordergrund der Aktivitäten der letzten Jahre. Dazu gehört auch die Einführung des Publikumspreises 1997, der dank der Unterstützung des Europäischen Parlaments als LUX Audience Award institutionalisiert wurde. «Über das Kino ist es möglich, Vorurteile aufzubrechen», sagt O’Brien, «die Vielfalt der europäischen Kulturen wird vermittelt». Und dies trage dazu bei, Europa als solches zu definieren und zu stärken. Auf Wim Wenders ist die polnische Regisseurin Agnieszka Holland gefolgt. Sie war von 2020 bis 2023 im Amt, bis 2024 die französische Schauspielerin Juliette Binoche die Präsidentschaft übernahm.
Eine lebendige Akademie
Heute ist die Europäische Filmakademie lebendiger denn je und zählt gegen fünftausend Fachmitglieder. In ihrem Umfeld entstanden zahlreiche Initiativen, wie der Monat des Europäischen Films und der neue European Film Club, der die Filmkultur unter den Zwölf- bis Neunzehnjährigen fördern soll. «Seit ich den Vorsitz übernommen habe, ist es mein Ziel, aus der Akademie weit mehr als nur die Organisatorin der Preisverleihungen zu machen. Ich möchte, dass sie zu einem Ort der Inspiration für Aktivismus im Filmbereich wird», erklärt Downey. Diese Initiativen öffnen der Akademie den Zugang zu einem breiteren Publikum. «Seit der Pandemie arbeiten wir daran, das Publikum für europäische Filme wieder aufzubauen und deren Vertrieb auf dem Kontinent zu verbessern», schliesst Downey. «Eine kontroversere Überlegung geht dahin, dass wir unsere Finanzierungsmodelle für Filme überdenken und uns fragen müssen, ob die Anzahl der in Europa produzierten Filme nicht auf Kosten ihres weltweiten Vertriebs geht. Das Wichtigste, was die Akademie tun kann, ist, in ihrem Streben nach Exzellenz nie nachzulassen und jedes Jahr die besten europäischen Filme auszuwählen und zu prämieren.
Bild: European Film Academy, Sebastian Gabsch