Die Tugenden der Koproduktion

 

Die Zusammenarbeit mit Europa eröffnet dem Schweizer Film bereichernde Perspektiven und fördert den Wissensaustausch und den Zugang zu internationalen Märkten.

Es ist eindeutig: Grenzüberschreitende Koproduktionen erhöhen die Wachstumschancen und die internationale Reichweite der Schweizer Filmindustrie. Im letzten Jahr waren unter den 84 produzierten Langfilmen 19 majoritäre und 18 minoritäre Schweizer Koproduktionen – insgesamt machen Koproduktionen also fast die Hälfte aus. Swiss Films unterstreicht die wachsende Schweizer Präsenz an internationalen Festivals. Dabei ist vor allem die Anzahl minoritärer Koproduktionen markant angestiegen: 2023 wurden 34 Werke in  Wettbewerbssektionen gezeigt, gegenüber 18 im Jahr 2021. Unter den Koproduktionen, die an den grossen Festivals von sich reden machten, waren zum Beispiel «Le Grand Chariot» von Philippe Garrel und «Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste» von Margarethe von Trotta, der im Wettbewerb der Berlinale lief, sowie «La Chimera» von Alice Rohrwacher, der in Cannes am Wettbewerb teilnahm. Zudem wurden «Le Théorème de Marguerite» von Anna Novion und der Eröffnungsfilm der Sektion ACID «Laissez-moi» von Maxime Rappaz in Cannes in Parallelsektionen gezeigt, was den Filmen zu breiter internationaler Medienpräsenz verhalf.

Internationaler Aufschwung

«Mit einem Budget von rund 3 Millionen Schweizer Franken war eine Koproduktion unerlässlich», bekräftigt Gabriela Bussmann von GoldenEggProduction, die den zu 80 Prozent schweizerischen «Laissez-moi» produzierte. Ihrer Meinung nach vergrösserte sich durch die Partner die Reichweite des Films: «Paraiso Films in Paris schloss sich uns rasch an, und wir präsentierten das Projekt auf verschiedenen Koproduktionsmärkten und in Schreibwerkstätten, was unter anderem zu unserer Partnerschaft mit der belgischen Produktionsfirma Fox the Fox führte.» Gemäss Katrin Renz von tellfim, die «Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste» produzierte, wäre der Film mit einem Budget von 9 Millionen Euro ohne Koproduktion niemals realisierbar gewesen: «In der Schweiz ist die Finanzierung auf Beträge von 1,5 bis 3 Millionen Euro begrenzt und wird ab 2025 weiter sinken, da die Filmstandortförderung Schweiz (FiSS) nur noch Koproduktionen unterstützt.» «Ingeborg Bachmann» zeigt die Vorteile der Koproduktion exemplarisch auf. Renz betont, dass die Zusammenarbeit zwischen der majoritären Schweiz (29 Prozent), Österreich (25 Prozent), Deutschland (25 Prozent) und Luxemburg (21 Prozent) mehr als nur eine zusätzliche Finanzierung bietet. «Dank der Koproduktion erreichen wir einen breiteren Markt und können den Film in den vier Partnerländern  gleichzeitig herausbringen und so die Synergien und die  Zusammenarbeit unter den Vertreibern optimieren.». Für einen internationalen Vertrieb wie The Match Factory «ist eine Koproduktion attraktiv, denn sie vereint Talente aus verschiedenen Ländern, und die Kinopremieren mit lokaler Medienpräsenz sorgen für Aufmerksamkeit, die dem weltweiten Verkauf zugutekommen», so die Produzentin weiter.

Austausch und Sichtbarkeit

Ein weiterer Vorteil ist das Zusammentreffen der besten Kompetenzen aus jedem Land. Renz unterstreicht, dass «das Schweizer Team die Zusammenarbeit mit ausländischen Kollegen und Kolleginnen sehr schätzte, da in der Vorproduktion, am Set und in der Postproduktion alle voneinander lernen konnten.» Bussmann fügt an, es sei für sie «stimulierend, auf erfahrene Teams aus drei Ländern zurückgreifen zu können. Die Schweiz ist sehr dynamisch, doch es fehlt ihr an Fachkräften für Schlüsselpositionen wie Szenenbild, Beleuchtungs- oder Kamerabühnentechnik.» «Der Film erhält mehr internationale Sichtbarkeit, was die Anerkennung für die Schweizer Produktion erhöht. Selbst eine minoritäre Koproduktion schafft Arbeitsplätze für Schweizer Filmschaffende und bietet ihnen die Möglichkeit, internationale Erfahrung zu sammeln», so Bussmann weiter. Koproduktionen sind auch für Schweizer Schauspielende von Vorteil, wie Luna Wedler und Basil Eidenbenz, die durch «Ingeborg Bachmann» mehr Sichtbarkeit erlangten. Im Fall von «Laissez-moi» fördert die Mitwirkung internationaler Talente wie Jeanne Balibar einen weitflächigeren Vertrieb. Das Budget von 1,6 Millionen Franken von «Blackbird Blackbird Blackberry» von Elene Naveriani, der 2023 in Cannes an der Quinzaine des Cinéastes gezeigt wurde, stammt zu 88 Prozent aus der Schweiz (Alva Film) und zu 12 Prozent aus Georgien (Takes Film). Georgien beteiligte sich sowohl finanziell als auch künstlerisch, indem georgische Fachkräfte als Ko-Autor und in wichtigen Bereichen wie Szenenbild und Kostümdesign zum Einsatz kamen.

Herausforderungen und Kosten

Koproduktionen sind oft komplex und bergen auch Nachteile. Im Fall von «Blackbird Blackbird Blackberry» «lag die grösste Schwierigkeit darin, dass in Georgien während der Finanzierungsperiode die Koproduktionsförderung gestrichen wurde», so Tomas Reichlin von Alva Film. «Im Nachhinein konnten wir uns recht gut behelfen, um diesen Ausfall auszugleichen, doch wir kämpften monatelang mit grossen Unsicherheiten.» Reichlin fügt hinzu: «Der enge Zeitplan war für uns und unsere Partner eine stetige Herausforderung. Wir erwarben die Rechte am Roman im März 2021, und die Weltpremiere fand im Mai 2023 statt. Koproduktionen brauchen normalerweise mehr Zeit.» Mit einem Zeitfenster von nur sechs Monaten zur Finanzierung des Projekts mussten viele Koproduzenten aufgrund fehlender Zeit und Mittel ablehnen. Die Dreharbeiten zu «Ingeborg Bachmann» mussten in mehreren Ländern stattfinden, um gewisse Regeln einzuhalten. «Aufgrund der Subventionsbedingungen mussten wir einige Szenen in Luxemburg drehen, obwohl das Land keinen Bezug zum Inhalt des Films hat», so Produzentin Renz. «Es ist schon ein bisschen verrückt, dass wir Ingeborg Bachmanns und Max Frischs Wohnung in Rom in einem Studio in Luxemburg nachbauten, obwohl wir auch in Rom drehten.» So kann internationale Zusammenarbeit auch ein Hindernis für die Umweltfreundlichkeit einer Produktion darstellen. Ein Umdenken ist deshalb nötig, um die Nachhaltigkeit zu fördern und zugleich die Kosten im Griff zu behalten.

Photo: GoldenEggProduction